Mops und Genetik

...oder: Dinge, die man wissen sollte!

„El Hechizado“ nannten die Spanier ihren letzten König aus der Dynastie der Habsburger, die das Land 300 Jahre lang im Griff hatte. Karl II.: Keinem aus seiner Sippe war die Unterlippe so ins Gesicht geschrieben wie ihm, und die Lippe bzw. der vorgescho-bene Unterkiefer war noch das Harmloseste, obwohl er ihretwegen kaum sprechen konnte und sabberte. Er war verwachsen und impotent, konnte erst mit vier Jahren sprechen und mit acht gehen, und mit 30 war er ein alter Mann. Neun Jahre später, anno 1700, konnte er kaum noch aufstehen, er hatte Halluzinationen und Konvulsionen, fiel ins Koma und starb."

 

Zitat aus „Der Fluch der Inzucht“ von Jürgen Langenbach (Die Presse, 2013)

 

 

Ein paar genetische Grundlagen zum Verständnis

 

Jeder Hund besitzt 78 Chromosomen bzw. 39 Chromosomen-paare, auf denen seine gesamten Erbinformationen gespei-chert sind. Chromosomen sind die Träger der Erbanlagen und bestehen aus einem langen DNA-Faden und Proteinen. 

 

Eine weibliche Ei- bzw. die männliche Samenzelle enthält je-weils nur einen einfachen Chromosomensatz - man spricht hier von einem haploiden (im Gegensatz zum diploiden) Chro-mosomensatz. Bei der Befruchtung verschmelzen Ei- und Samenzelle wieder zu einem doppelten - diploiden - Chromo-somensatz. D.h. der Welpe erhält von jedem seiner Elternteile demgemäß nur einen Teil deren Erbinformation, und zwar den der beiden einzelnen Chromosomen aus Ei- und Samenzelle. 

 

Wie bei allen anderen Säugetieren umfasst auch das haploide Genom des Hundes beinahe drei Milliarden DNA-Basenpaare. Als Gen wird in der Regel ein Abschnitt auf der DNA bezeich-net, der die Grundinformationen zur die Ausbildung bestimmter körpereigenen Merkmale besitzt. Ein Gen befindet sich auf einer charakteristischen chromosomalen Region, dem sog. "Locus".

 

 

Was bedeutet diese Erkenntnis in Bezug auf Erbkrankheiten?

 

Die meisten Erberkrankungen entstehen durch eine Mutation an einem Genort - also eine spontane Veränderung des Erb-gutes -  und werden durch einen dominanten oder rezessiven Gendefekt vererbt. Aktuell sind knapp 500 Erbkrankheiten bei Rassehunden beschrieben.  

 

Ein Beispiel für eine sich autosomal dominant vererbende Er-krankung ist die May Hegglin Anomalie (MHA), die bislang nur beim Mops beobachtet wurde und durch eine Mutation des MYH9 Gens verursacht wird. Ein Allel des mutierten Gens reicht aus, um die Symptome der Krankheit zu entwickeln. Eine sich autosomal rezessive vererbende Erkrankung ist beispiels-weise die degenerative Myelopathie (DM), eine schwere neuro-degenerative Erkrankung, die bei vielen Rassen vorkommen kann und sich insbesondere bei fortschreitendem Alter durch eine unkoordinierte Bewegung der Hinterhand zeigt.

 

Sog. monogene Krankheiten werden durch eine Mutation in nur einem einzigen Gen verursacht. Ein Beispiel für eine monogene Erbkrankheit ist die progressiven Retinaatrophie, die bei vielen Rassen ein Problem darstellt. Polygene Krankheiten - hierzu gehört die Hüftdysplasie - werden durch mehrere zusammen wirkende Gene verursacht.   

 

Erbkrankheiten, die dominant vererbt werden, sind einfach zu bekämpfen, da sich früher oder später selbst entlarven: ein einzelnes Allel eines dominanten Gens reicht aus, um die Krankheit zu manifestieren und so können die betroffenen Tiere leicht erkannt und aus der Zucht genommen werden. Genauer: bereits ein defektes Allel auf einem der beiden Chromosomen reicht zur Merkmalsausprägung aus. Für die Nachkommen eines Merkmalsträgers (der zugleich auch erkrankt), besteht ein Risiko von 50%, das defekte Allel zu erben und ebenfalls Merkmalsträger zu sein und zu er-kranken. Sind beide Elterntiere erkrankt und heterozygot steigt das Risiko auf 75%. Ist ein Elternteil homozygot, liegt das Risiko bei 100%. Diese Werte haben bei dominanten Erb-krankheiten zumeist eine eher theoretische Bedeutung, da homozygote Träger häufig so schwer erkranken, dass sie nicht das fortpflanzungsfähige Alter erreichen. 

 

 

 

Keine Tierpopulation (und auch nicht der Mensch) ist völlig frei von negativen rezessiven Genen. Eine sichere Methode, Carrier zu erkennen, ist der Gentest. Nur: es gibt zwar heutzutage Gen-tests für etwa 200 Erbkrankheiten, unter denen unser Haus-hund leiden könnte, das gesamte Spektrum der möglichen genetischen Erkrankungen ist damit bei weitem noch nicht abgedeckt. Mehr noch: wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass jeder Hund im Durchschnitt rezessive Anlagen für rund fünf Defekte trägt. Angesichts dessen ist es unmöglich, alle Carrier aus der Zucht zu nehmen - es bliebe nichts mehr übrig!

 

Doch die Natur hat ein so einfaches wie wirksames Mittel "erfunden", Lebewesen vor krank machenden rezessiven Defektgenen zu schützen: Die genetische Varianz! Heißt im Klartext: die Tatsache, dass jedes Merkmal "doppelt" - nämlich von jedem der beiden Elternteile kommend -  in einem Individuum programmiert ist, schützt es vor rezessiven Erb-krankheiten. Noch einfacher formuliert: Hat ein Welpe ein defektes, krankmachendes Gen vom Vater erhalten, wird dies durch das gesunde Gen der Mutter kompensiert. 

 

 Dieser Schutz, dass alle Informationen im Bauplan eines Individuums "doppelt" vorliegen und so "Informationsfehler" ausgeglichen werden, funktioniert jedoch nur, wenn die Eltern auch tatsächlich einen jeweils unterschiedlichen genetischen "Bauplan" für das jeweilige Merkmal besitzen und das ist in der Regel dann der Fall, wenn sie nicht miteinander verwandt sind!

Auf diese Weise ist es durchaus möglich, dass rezessive Defektgene über hunderte von Jahren und Generationen weiter vererbt werden, ohne dass sie negative Auswirkungen ent-falten können. Sie sind dann quasi "harmlos"!   

 

 

Problematik der geschlossenen Zuchtbücher

 

Seit der Schließung der Zuchtbücher Ende des 19. Jahr-hunderts sind die dort geführten Hunderassen künstlich ge-schlossene Populationen: nur noch die durch den Kennel Club UK registrierten Hunde einer Rasse durften miteinander ver-paart werden; "Blutauffrischungen" durch den Einsatz anderer Rassen wurden verboten, d.h. die Züchter durften nicht mehr - was zur Leistungsverbesserung durchaus bis dahin statthaft und gebräuchlich war - auf Hunde anderer Rassen zurück-greifen,  wenn sie das Prädikat der "Reinrassigkeit" weiterhin führen wollten. Seit der Schließung der Zuchtbücher kommen demgemäß keine neuen Erbinformationen zu einer Rasse mehr hinzu. Ähnlich wie es bei den alten Adelshäusern in dem Eingangs-beispiel zuging - nur Adel durfte mit Adel Kinder zeugen - , geht es bis heute in der Rassehundezucht zu.

 

 

 

Rassehunde immer kränker?

 

Heute wird oft kritisiert, die "Erbkrankheiten nehmen bei den Rassehunden immer mehr zu". Diese Aussage trifft jedoch nicht wirklich den Kern. Das immer häufigere Auftreten von vermeintlich „neuen“ Erbkrankheiten ist im Wesentlichen die Folge des steigenden Verwandtschaftsgrades innerhalb der einzelnen Rassen. Erst durch das damit zahlenmäßig auch zwangsläufig häufigere Auftreten rezessiver Defektgene und die deutlich gestiegene Chance, dass sich diese durch die Verpaarung zweier Carrier "doppeln", führt zum Auftreten eines Krankheitsbildes mit zum Teil dramatischen Folgen für das betroffene Tier. 

 

Die Folgen des Verlustes der genetischen Varianz für die Gesamtpopulation sind die bekannten: verminderte Leistungs-fähigkeit und Fruchtbarkeit, Fehlbildungen an Gliedmaßen und Organen, Stoffwechselstörungen sowie Krankheiten wie z.B. Epilepsie, Dysplasie, Taubheit, angeborene Herzerkrankungen, grauer Star, Polyarthritis,  Hypothyroidismus, Cushing's Syndrom aber auch eine deutlich verkürzte Lebenserwartung. 

 

Neben den vorgenannten Erkrankungen sind es aber auch Autoimmunerkrankungen, Allergien, neurologische Probleme und besonders Krebserkrankungen, die immer häufiger bei Rassehunden diagnostiziert werden. So gibt es mehrere Studien, die zweifelsfrei belegen, dass die Krebsrate bei unseren Haushunden - trotz vergleichsweiser kurzer Lebens-erwartung - doppelt so hoch ist, wie beim Menschen!  (Chun and de Lorimier 2003; Ettinger 2003; Fan 2003; London and Seguin 2003; Porrello et al. 2004; Modiano et al. 2005). 

  

 

"Und die Erde ist doch eine Scheibe!" ...möchte man zynisch angesichts der heutigen  Unbeweglichkeit der Entscheidungs-träger der maßgebenden Hundeverbände trotz der fort-schreitenden Erkenntnisse in der Genetik im Gegensatz zum Stillstand in der Zuchtszene was die Frage der Einzucht anderer Rassen angeht ausrufen. Aktuelle wissenschaftliche Daten zeigen, dass nach mehr als einem Jahrhundert Rasse-hundezucht die genetische Vielfalt in Zuchtpopulationen zum Teil so dramatisch reduziert worden ist, dass einzelne Rassen faktisch vor ihrem Untergang stehen. Allein: Die "Todsünde" der Einzucht fremder Rassen bleibt bestehen!  

 

Um die Überlebensfähigkeit der einzelnen Rassen langfristig zu sichern, ist allerdings ein Umdenken in der Zuchtlenkung dringend erforderlich!  

Die bekannte Genetikerin Prof. Dr. Irene Sommerfeld-Stur dazu: 

 

"Ein Problem der Selektionszucht in geschlossenen Zucht-populationen besteht darin, dass Gene, die durch Selektion oder genetische Drift aus einer Population verschwunden sind, nicht von selber wieder neu erscheinen. Verlust an Genen und damit auch Verlust an genetischer Varianz ist somit primär einmal eine irreversible Sache. Die einzige Möglichkeit verloren gegangene Gene bzw. verlorene genetische Varianz in einer Population wieder herzustellen ist die Immigration, landläufig auch als Kreuzung oder Outcross bekannt. Realistischerweise muss man sich wohl darüber im Klaren sein, dass solche Blutauffrischungen in vielen Rassen in der Vergangenheit beabsichtiger- oder unbeabsichtigterweise wohl immer wieder geschehen sind. Vielleicht würde es manche Rassen heute gar nicht mehr geben, wenn nicht immer wieder mal „frisches Blut“ zugeführt worden wäre."  

 

Zu dieser Thematik ist ein interessanter Artikel von Frau Sommerfeld-Stur in der österreichischen Hundezeitschrift "WUFF" erschienen:

 

  

Und auch wenn immer wieder von verschiedenen Seiten beinah gebetsmühlartig wiederholt wird: "Damit der Genpool nicht zu klein wird, kommen gesunde Möpse aus der ganzen Welt für die Zucht zusammen..." ändert es nichts an wissenschaftlich festgestellten Fakten: Der Genpool IST bereits zu klein! 

 

WIE dramatisch es um die genetische Situation des Standard-mopses tatsächlich steht, zeigte sich erst im Jahre 2012 am Beispiel der PDE (Pug Dog Encephalitis). Die PDE - auch nekrotisierende Meningoenzephalitis genannt - ist eine erb-liche Autoimmunerkrankung, die schwere Entzündungen des zentralen Nervensystems verursacht und immer zum Tode des betroffenen Hundes führt.

 

In der Vergangenheit ging man - warum auch immer - von einer Quote von unter 1% betroffener Tiere innerhalb des Mops-bestandes aus. Nachdem in den USA ein Gentest zur Identifi-zierung der für die Erkrankung verantwortlichen Mutation DLA-DPB1, die als Hochrisikofaktor für die 'Nekrotisierende Meningoenzephalitis' angesehen wird, entwickelt wurde, zeigte sich zum Entsetzen der Züchter zunächst, dass rund 40% der dortigen Mopspopulation die gefährliche Mutation in ihren Genen tragen. 

 

Als Ende 2012 der Gentest auch in Deutschland eingeführt wurde, ließen etliche Mopszüchter ihre Zuchttiere mit bangen Befürchtungen testen. Das Ergebnis dieser Untersuchungen war ein Schock und ging wir ein Lauffeuer durch die Mops-szene: Bereits nach einem halben Jahr des Testeinsatzes zeigte sich, dass auch in Deutschland mit entsprechend hohen Zahlen von betroffenen Tieren gerechnet werden muss. (Etwas  anderes war eigentlich auch nicht zu erwarten, da die amerikanischen Möpse - wie geschildert - ihre Wurzeln hier in Europa haben.) - Man stelle sich vor: Eine Mutation eines Gens - irgendwann einmal in der Vergangenheit stattgefunden - durchsetzt mittlerweile eine ganze Rassepopulation: Tests - auch in anderen Ländern - lassen vermuten, dass etwa 40% des weltweiten Mopsbestandes genetisch mit der nekrotisierenden Meningoenzephalitis als Einzel- oder sogar Doppelträger belastet sind.  Und da sich Genmutationen nun mal nicht durch Tröpfcheninfektion sondern durch Fortpflanzung verbreiten, zeigt dieses aktuelle Beispiel sehr deutlich, wohin uns der "Reinrassigkeitsfanatismus" schon getrieben hat. Mittlerweile ist jeder Mops mit nahezu jedem verwandt! - Und PDE ist nur eine von hunderten möglicher Erberkrankungen bei unseren Haushunden!   

 

 

Jedenfalls dürfte anhand der genetischen Situation, in der sich die Rasse Mops befindet, eins klar sein: das Brachyzephale Atemnotsyndrom durch - wiederum Genom schmälernde - Selektion auf die Tiere, die die gewünschten Merkmale wie längere Schnauzenpartie, kleinere Augen, beweglicherer Körper, festeres Bindegewebe etc. zeigen, zu bekämpfen, ist illusorisch. Viel zu lange schon wurde auf das sich bei den heutigen Standardmöpsen zeigende Extrem hingezüchtet. Wo sollen sie im übrigen herkommen, die wieder prominenten Schnauzenpartien, die sportlicheren Körper, das straffere Bindegewebe, die gut und geschützt eingebetteten Augen?

 

Und nein - ich stehe selbstverständlich  mit dieser Meinung keineswegs allein auf weiter Flur. Die von mir bereits mehrfach zitierte Genetikerin Prof. Dr. Sommerfeld-Stur weiß:

 

"Der einfachste Weg, dem Mops wieder zu besserer Lebens-qualität zu verhelfen, nämlich eine Selektion innerhalb der Rasse auf längere Nasen und bessere Atemkapazität, ist somit kaum mehr möglich. Denn die Gene, die für eine längere Nase verantwortlich sind, sind durch die intensive Selektion bereits mehr oder weniger vollständig verloren gegangen. Und wenn in einer geschlossenen Population, wie es eine Hunderasse ist, Gene verloren sind, dann ist das ein unwiderruflicher Verlust. Die einzige Möglichkeit, verlorene Gene wieder zu bekommen, ist eine Einkreuzung." (Quelle: Kreuzungsmodelle beim Hund, Hundemagazin WUFF, 10/2014).  

  

Wir haben gesehen: Inzucht kann einerseits bewusst  in Form von Linienzucht eingesetzt werden aber auch indirekt durch jede Form von Selektion und den übermäßigen Einsatz männlicher Vererber (Populare Sire Syndrom). 

 

Inzucht stärkt und fördert also die Merkmalsausprägungen – sprich: Die Inzucht steigert den Anteil an homozygoten Genen und führt zu einer Einschränkung der genetischen Varianz innerhalb der Population.  Durch Inzucht werden aber immer auch Defektgene manifestiert. Eine nicht ungefährliche Grad-wanderung also, die buchstäblich "lebensgefährlich" wird, wenn die genetische Varianz nahezu erschöpft ist.   

  

 

 

 

 

 

Aus heutiger Sicht - in der die Rassebilder gefestigt sind, ja in der viele Rassehunde optisch so vereinheitlicht sind, dass sie nahezu wie geklont wirken - macht eine Inzucht in der Rasse-hundezucht aus meiner Sicht keinen wirklichen Sinn mehr - zumal der "verborgene" Inzuchtkoeffizient (nämlich der, der nach den letzten fünf Generationen existiert, s.o.)  innerhalb einzelner Rassen ohnehin bereits einen mehr als bedenklichen Status erreicht hat.

 

Steve Jones, namhafter Genetiker des University College London warnt: 

"People are carrying out breeding which would be first of all entirely illegal in humans and secondly is absolutely insane from the point of view of the health of the animals. In some breeds they are paying a terrible price in genetic disease."

  

Wie sieht nun eine zukunftsorientierte Zuchtlenkung aus?

 

Eine gesunde Nachzucht erhält man nicht nur dadurch, dass man vor der Zuchtzulassung der Elterntiere alle erforderlichen Gesundheitschecks durchgeführt hat. Der beste und nach-haltigste Schutz gegen Erbkrankheiten ist  ein möglichst großer Genpool damit vermieden wird, dass sich zwei defekte rezessive Allele eines Gens in den Nachkommen der Elterntiere „finden“.  Und da einmal verschwundene Gene nun einmal nicht mehr "nachwachsen" ist die einzige Möglichkeit, einen engen Genpool wieder zu vergrößern, das Einbringen einer anderen "neuen" Rasse. Dies wird bei unseren Retromöpsen bekanntermaßen vorwiegend durch die Einzucht des Parson Russell erreicht, der zum einen noch eine vergleichweise große genetische Varianz in seinen Genen trägt, der eben nicht wie die allermeisten Kleinhunde-rassen auf Showschönheit sondern auf Leistungsfähigkeit gezüchtet wurde und der körperlich genau das bietet, was dem Mops in den Jahren abhanden gekommen ist.  

 

 

Mich graust es, wenn ich über einen Zeitraum von sechs, sieben Jahren (!) immer und immer wieder die gleichen Deck-rüden bei ebay-Kleinanzeigen und ähnlichen Plattformen wie sauer Bier angeboten sehe. Und das gleich mehrmals in der Woche mit immer neuen, vielversprechenden Anzeigen! Zucht-lenkung? Zuchtstrategie? Nachzuchtkontrolle? - Absolute Fehlanzeige! 

 

Die katastrophalen Auswirkungen eines zu häufigen Zuchtein-satzes eines Deckrüden ist folgendem Artikel sehr anschaulich zu entnehmen:   

 

Weiterführende Literatur:

  

Belyaev, D. K.1979. Destabilizing selection as a factor in domestication. The Journal of Heredity 70:301-308 

 

Belyaev, D. K., A. O. Ruvinsky and L. N. Trut. 1981. Inherited activation-inactivation of the star gene in foxes. The Journal of Heredity 72:264-274

 

D.N. Irion et al., Anal. of Gen. Var. in 28 Dog Breeds with 100 Microsat. Markers, J. of Heredity 2003:94(1):81-87

 

Phelan, J.P., and S.N. Austad 1994, Selecting animal models of human aging: Inbred strains often exhibit less biological uniformity than F1 hybrids. Journal of Gerontology 49~1~:Bl-ll

 

Rutherford, S.L., From genotype to phenotype: buffering mechanisms and the storage of genetic information, BioEssays 22:1095-1105, 2000 John Wiley & Sons, Inc. 

 

 

 

Ein Hund, der zwei identische Allele eines bestimmten Gens trägt, wird als reinerbig für das entsprechende Gen bzw. homo-zygot bezeichnet. Hunde, die dagegen über unterschiedliche Allele eines bestimmten Gens verfügen, nennt man mischerbig oder heterozygot. Ist ein Hund bezüglich eines Allels misch-erbig, also heterozygot, kommt es für die Frage, welche Merk-male sich im Phänotyp des Tieres durchsetzen darauf an, welches Allel das dominante ist. 

 

Ein einfaches Beispiel hierzu aus der Farbgenetik: Die Farbe schwarz vererbt sich in der Regel dominant. Erhält ein Mops- oder Retromopswelpe nun von seiner beigen Mutter die Erb-information "beige" und von seinem schwarzen Vater die Erb-information "schwarz", wird er - obwohl er beide Farbinforma-tionen in sich trägt und auch weitergeben kann - zwangsläufig ein schwarzes Fellkleid bekommen. Schwarz ist eben domi-nant!

 

Rezessive Gene sind dagegen jene, die versteckt und uner-kannt aber gleichwohl im Bauplan des Hundes enthalten sind, jedoch erst „Außenwirkung“ entfalten, wenn sie keinen do-minanten Partner mehr haben, sondern homozygot - also doppelt - auftreten. 

 

 

 

 

Bei Erkrankungen, die sich autosomal rezessiv vererben, tritt das relevante Gen nicht im heterozygoten, sondern erst im

homozygot rezessiven Zustand phänotypisch in Erscheinung. Heterozygote Tiere sind dann zwar Anlageträger und können das zur Merkmalsausprägung führende "krank machende" Allel auch zu 50% an ihre Nachkommen weitergeben, zeigen aber selbst keine Veränderung im Phänotyp, d.h. bilden die Krankheit selbst nicht aus. Erbkrankheiten, die sich rezessiv vererben, bleiben auf diese Weise oft Jahre lang unentdeckt und fallen erst dann auf, wenn ein betroffenes Tier das rezessive, krankmachende Gen von beiden Elternteilen (den sog. Carriern) erbt. Das defekte Allel muss also auf beiden Chromosomen vorliegen, damit die Krankheit bzw. das Merkmal zum Ausbruch kommt, d.h. es erkranken nur homozygote Träger des betroffenen Allels. 

 

Zahlreiche Erkrankungen werden allerdings nicht nur von einem Gen beeinflusst, sondern von vielen Genorten mit ihren unterschiedlichen Allelen. Sind viele verschiedene Genorte an der Ausprägung der Erkrankung beteiligt, hat das einzelne Gen selbst nur eine eher geringe Wirkung, während alle Gene zusammen schließlich die Krankheit zum Ausbruch bringen können. Dabei können die Genwirkungen additiv, dominant oder epistatisch (also ein anderes Gen überdeckend) sein. 

Sehr häufig sind aber auch Umwelteinwirkungen (z.B. Belastung, Fütterung, Haltungsbedingungen etc.) an der  Ausprägung der Erkrankung beteiligt. Man spricht daher von multifaktorieller Vererbung.

  

Was Gentests im Rahmen der Zucht leisten können, welche Gefahren aber auch von ihnen ausgehen können, ist in meinem Blog nachzulesen:

 

 

In der Folge verkleinert sich ständig, unaufhaltsam und uner-bittlich die Summe aller zur Verfügung stehenden Gen-variationen, denn es kommen nun mal nicht alle Welpen zum späteren Zuchteinsatz. Darüber hinaus wurde und wird inner-halb der Rassen gezielt Inzucht betrieben, um Rassemerkmale zu festigen. Hierzu gleich mehr. - Gene gingen und gehen somit unwiderruflich verloren, die Population wird reinerbiger aber neben den erwünschen Rassemerkmalen verbreiten sich auch verborgene Defektgene. Zwangsläufig und unvermeidbar steigt damit auch das Risiko, dass sich gleiche Defektgenpaare zusammenfinden.   

 

Warum überhaupt Inzucht?

 

Wir kennen heute fast 400 Hunderassen, die sich in ihren phänotypischen Merkmalen zum Teil gravierend voneinander unterscheiden - kein anderes Haustier ist vom Menschen in seiner Gestalt stärker „designed“  worden und zunehmend weniger erfüllt das dem Hund von Menschenhand auferlegte Design auch einen praktikablen Zweck. Die Hunderassen von heute müssen weniger arbeiten und Leistung erbringen sondern dem Menschen optisch gefallen.

 

Methodisch basieren die unterschiedlichen Phänotypen darauf, dass bestimmte Merkmale von zumeist wenigen Stamm-hunden mittels Inzucht - also der Paarung von verwandten Tieren - gefestigt wurden. Anders hätten sich die unterschied-lichen Hundetypen gar nicht vom Mensche formen lassen.

 

Inzucht ist also durchaus ein klassisches tierzüchterisches Instrument und war in der Vergangenheit zur Begründung einzelner Hunderassen durchaus legitim, muss aber heute mit äußerster Bedachtsamkeit angewendet werden. Dies umso mehr, da die einzelnen Rassemerkmale unserer Haushunde ja längst gefestigt sind!

 

  

Und nur am Rande bemerkt: Immerhin rauchen Hunde nicht und trinken auch keinen Alkohol, womit ein Großteil der krebs-erzeugenden Risiken für sie weg fällt!  Eine Ursache für den genetisch bedingten Teil dieser Erkrankungen ist allerdings

das hohe - und zwangsläufig immer mehr ansteigende - Inzuchtniveau bei immer mehr Rassen. 

 

 

Warum hat der Kennel Club seinerzeit die Zuchtbücher überhaupt für "geschlossen" erklärt?

 

Patrick Burns - Buchautor und bekannter Blogger - schreibt in gewohnt treffender Manier hierzu:  

 

"Die Übernahme des geschlossenen Zuchtbuchs seitens des Kennel Clubs ist ein Artefakt seiner Geschichte, während das Festhalten daran von der Ökonomie der Hundezucht und dem politischen Gebäude des Kennel Clubs bestimmt wird. Der Kennel Club wurde 1873 im viktorianischen England gegründet, zu einer Zeit also, als neue Theorien über Genetik von Gelehr-ten verkündet wurden, die noch keine sehr wirklichtskeits-nahen Vorstellungen davon hatten, was in der Natur eigentlich vor sich geht."  

 

Ja, so einfach kann manchmal die Wahrheit sein: Die Gründer des Kennel Clubs in Großbritannien und damit die Begründer der rassereinen Hundezucht konnten zum damaligen Zeitpunk die gravierenden Folgen ihrer Entscheidung gar nicht absehen; die Wissenschaft war einfach noch nicht so weit!   

 

 

 

 

 

Und der Mops? 

 

Es gibt zwar weltweit eine große Anzahl von Möpsen, was ihre genetische Varianz und damit den natürlichen Schutz vor re-zessiven Erbkrankheiten angeht, gehört die Rasse jedoch mit zu den genetisch ärmsten! Das canine Genom ist seit dem Jahr 2004 vollständig sequenziert was uns u.a. diese Erkenntnis lieferte. 

 

Weiter: die geschätzten rund 10.000 reinrassigen Möpse auf dem britischen Mutterland gehen nach einer Studie des renom-mierten Imperial College, London allesamt auf ganze 50 Einzelindividuen zurück!  HINZU kommt die von Menschen künstlich geschaffene Erberkrankung des brachyzephalen Atemnotsyndroms (BAS).  

 

Und wer jetzt Importe von reinrassigen Möpsen aus anderen Ländern als die seeligmachende Zukunftslösung propagiert, möchte sich doch einmal die Frage stellen, WOHER denn diese  - z.B. amerikanischen - Standardmöpse originär kommen!

 

Die Ureinwohner Amerikas hatten ganz sicher keine Möpse als Jagdbegleiter und wild in der Prärie lebend wurden sicher auch keine neuen Mopslinien entdeckt! - Nein, die Stammeltern dieser Tiere wurden selbstverständlich ihrerseits mit Beginn der eigentlichen Rassehundezucht aus Europa importiert, stammen also letztlich von den hiesigen Mopslinien ab und tragen damit - sofern nicht mit der Einzucht von fremden Rassen gearbeitet wurde - auch keine neuen Erbinformationen in sich. (Und nur nebenbei bemerkt: den Amerikanern konnte seinerzeit kein Mops extrem  - "noseless" - genug sein; der Begriff der "negativen Nase" rührt aus jener Zeit).  

 

  

 

Wer aber nun meinen sollte, dieses Ereignis jüngster Ver-gangenheit habe auch nur ansatzweise zu einem Umdenken in der Zuchtszene geführt, der irrt sich gewaltig! Selbst In den sozialen Netzwerken in denen sich nicht nur Züchter sondern auch Mopsbesitzer - darunter auch Betroffene (!) tummeln - wettert man nach wie vor über Einkreuzungsmodelle, da hierdurch der Charakter des Mopses "verfälscht" würde, verunglimpft die Züchter unserer Züchtergemeinschaft als unseriös, ja verbietet sogar die Diskussion zu dieser Thematik! Traut sich dann doch einmal ein Mopsbesitzer kritische Fragen zu stellen, wird er mit einem Shitstorm überzogen, der seines gleichen sucht oder von einem omnipotenten Administrator lieber gleich aus der Diskussionsgruppe entfernt. "Man könne es nicht mehr hören und es handele sich ohnehin nur um Vorurteile, an denen nicht Wahres sei " schallt es durch die Mopsforen und man "wolle lieber nette Mopsfotos sehen..." . - Das postfaktische Zeitalter, es hat auch in der Mopszene längst Einzug gehalten! 

 

Bedauernswertes Opfer dieser grenzenlosen Ignoranz ist ein kleiner, hilfloser, plattgesichtiger Hund - von seinen Besitzer angeblich "geliebt wie ein Kind", gehätschelt und verwöhnt mit Geburtstagsparties, selbstgestrickten Pullöverchen und Selbstgebackenem, aber die Liebe geht dann doch nicht so weit, als dass man nicht zumindest einmal ein wenig über alte Zöpfe reflektieren würde... Verkehrte Welt? Ja, da haben Sie Recht!

 

 

Der Inzuchtkoeffizient (IK) beschreibt die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Allele an einem Genort herkunftsgleich sind. Kurz: der Inzuchtkoeffizient gibt Auskunft darüber, wie nahe die Elterntiere miteinander verwandt sind. Die Formel zur Berech-nung des IK wurde von dem Genetiker Sewall Wright entickelt. Liegt keinerlei Inzucht vor, so erreicht man z.B. einen Wert von 0 %, bei einer Verpaarung von Vollgeschwistern bekommt man einen Inzuchtkoeffizienten  von 25 %.  

 

Die Berechnung des IK erfolgt allerdings in der Zucht nur über die letzten fünf Generationen, was bedeutet, dass die errech-nete Zahl keinen Aufschluss darüber gibt, wie eng die Ahnen des jeweiligen Hundes in den Vorgängergenerationen mitein-ander verwandt sind! (Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Inzuchtkoeffizient heute auch per Genanalyse durch genomische Daten ermittelt werden kann). 

 

In diesem Zusammenhang sehen Sie sich bitte die nach-folgende Dokumentation der BBC an (deutschsprachiger Titel: "Rassereine Krüppel - Hunde zu Tode gezüchtet"). Starke Nerven brauchen Sie allerdings, wenn Sie hier einmal hautnah miterleben, was das so nüchtern Geschilderte in der Praxis für die Tiere bedeutet:  

 

Defektgene werden durch die Einzucht einer fremden Rasse natürlich nicht eliminiert, aber sie haben viel weniger Mög-lichkeiten, sich in einem Individuum zu "finden".

 

Inzucht und Linienzucht sollten - auch beim Retromops - nur ausnahmsweise dann zuchttechnisch durchgeführt werden, wenn durch eine entsprechende Verpaarung wirklich hervorragende Eigenschaften eines Vererbers gefestigt werden sollen und die bereits vorhandene Nachzucht bislang keinerlei Anhaltspunkte für eine mögliche negative genetische Dis-position gezeigt hat. Diese "zu festigenden" Eigenschaften dürfen m.E. aber nie allein nur in der Optik begründet sein. Ich persönlich würde dabei einen Inzuchtkoeffizienten von 6,25 % nicht überschreiten.

 

Bei Abwägung und sofern im Einzelfall möglich würde ich zur Manifestierung einzelner Merkmale immer einer positiven assortativen Paarung den Vorzug geben.   

 

Das Problem der Verkleinerung des Genpools durch einen besonders häufig eingesetzten Deckrüden - den sog. Popular Sire - ist zu vermeiden, auch und gerade beim Retromops, dessen Züchter ja nach seiner ursprünglichen Zucht-philosophie neue Zuchtwege beschreiten und alte Zuchtfehler korrigieren wollten. Aber Zucht ist leider in vielen Fällen ganz und gar nicht das, was Außenstehende vielleicht voller Ehrfurcht denken. In vielen Fällen geht es gar nicht um die Rasse oder die Rasseverbesserung... 

 

 

 

 

 

 

 

Links zum Thema:

 

http://sommerfeld-stur.at/ 

 

Elaina A. Ostrander, Robert K. Wayne, The canine genome, Genome Research:

http://genome.cshlp.org/content/15/12/1706.full 

 

http://www.von-der-keltenschanze.de/download/Vererbungslehre.pdf

 

RABE, CHRISTINA JULIA (2009) Katalogisierung von Phänotypen, Genotypen und Gentests molekulargenetisch charakterisierter Erbfehler beim Haushund (Canis familiaris) Dissertation, Ludwig-Maximilians-Universität München

https://edoc.ub.uni-muenchen.de/10548/1/Rabe_Christina_Julia.pdf

 

http://www.hundeforschung.de/userfiles/Hundeforschung%20DLA.pdf

 

Dr. Viola Hebeler: Grundlagen angewandter Genetik für die Hundezucht - http://www.abcdev.de/artikel/Grundkurs_Genetik.html

 

http://www.doggen.info/index.php/genetik-zucht/zuchtgenetik/302-inzucht?showall=1

 

Hellmuth Wachtel: Genetik - die Tücke des Zufalls

http://www.hunde.com/magazin/d183059.html 

 

http://www.instituteofcaninebiology.org/blog/lush-on-linebreeding

 

http://www.bestehunde.de/inzucht-bei-hunden.html

 

https://www.dogbreedinfo.com/inbreeding.htm

 

https://www.pets4homes.co.uk/pet-advice/inbreeding-in-dogs-problems-benefits-and-reasons.html

 

http://genetics.thetech.org/ask-a-geneticist/dog-inbreeding

 

http://www.instituteofcaninebiology.org/blog/the-costs-and-benefits-of-inbreeding 

 

http://www.instituteofcaninebiology.org/blog/why-dna-tests-wont-make-dogs-

 

healthierhttp://www.instituteofcaninebiology.org/blog/comparing-inbreeding-of-dogs-and-horses