Anmerkungen zu TsD -Ein Gastartikel von Sybille Nass, ZG Retromopszucht von der Holderheide

 

Trainieren statt dominieren, kurz TsD, bezeichnet eine Erziehungsform, welche ausschließlich auf Lernen mit positiver Verstärkung ausgerichtet ist. Es gibt darüber eine eigene Facebook-Gruppe und viele Hundeschulen schmücken sich mit dem Logo „TsD“. Grund genug also, sich mit TsD auseinanderzusetzen, um sich darüber eine Meinung bilden zu können und zu entscheiden, inwieweit die Methode sinnvoll und anwendbar ist.

 

Ganz grundsätzlich ist es bei der Facebook-Gruppe so, dass Kritik an der Methode unerwünscht ist und keine Diskussionen bezüglich der Ausbildungsmethode geduldet wird. Dies kann man zum Einen verstehen, denn wer fb kennt, weiß, daß es regelmäßig zu Verstößen der Nettiquette kommt und endlose und letztendlich wenig zielführende Diskussionen zeitraubend und auf Dauer anstrengend sind. Das ist die eine Seite.

 

Zum Anderen wird dadurch aber auch jede SACHLICHE Kritik verhindert und die Methode gerät sehr schnell in Gefahr, zu einem Dogma zu mutieren. Und genau hier sehe ich eine große Gefahr, denn TsD wurde in meinen Augen von Menschen FÜR Menschen entwickelt - die Bedürfnisse und das Instinktverhalten des Hundes wurden dabei jedoch komplett aussen vor gelassen.  

 

Der Grundgedanke ist, dass „man“ einen Hunde nur mit Liebe, hier positiver Verstärkung erziehen möchte. Ein Gedanke, welcher auch in der Kindererziehung nicht ganz fremd ist.

 

Zwei Fragen stellen sich dazu:

Erstens: Kann TsD überhaupt funktionieren?

Zweitens: Ist es eine für unsere Hunde verständliche Erziehungsmethode?

 

Verhaltensweisen/Veranlagungen bei Hunden sind genetisch fixiert und können nur bedingt beeinflusst werden. Um es zu veranschaulichen hier ein paar Beispiele:

 

Ein Hund mit fehlendem Jagdinstinkt wird als Jagdhund nicht einsetzbar sein, selbst wenn man noch so sehr mit ihm übt - es endet in Frust auf beiden Seiten, beim Hund ebenso wie beim Besitzer. 

 

Kromfohrländer sind in der innerartlichen Interaktion inkompetent, was heisst, sie zeigen gegenüber fremden Hunden ein schlechtes Sozialverhalten. Gut informierte Kromibesitzer versuchen diesem Verhalten vorzubeugen, indem sie regelmässig zum Welpentreff und in die Junghundeschule gehen, sowie auf Spaziergängen gezielt Hundebegegnungen zu suchen, damit ein gutes Sozialverhalten aufgebaut werden kann.

 

Spätestens nach der Pubertät stellt sich jedoch heraus, daß alles Üben hinfällig ist, denn der vorher spielbereite und mit anderen Hunden Spaß habende Kromi ist wie weggeblasen. Es bleibt ein Hund, der sich mit genau jenen Hunden versteht, welche er von klein an gewohnt war und mit fremden Hunden nicht umgehen will - und kann… 

 

Deshalb ist es für einen Hundebesitzer interessant ( und wichtig) sich über die genetische Veranlagungen seines Hundes im Klaren zu sein, denn sie sind ein wichtiges Kriterium dafür, wofür sich „mein“ Hund eignet und: Wie ich ihn erziehe!

 

Hunde sind individuell derart unterschiedlich, daß es KEINE Hundeerziehungsmethode gibt, die für ALLE Hunde gleichermassen anzuwenden ist - 

 

Also auch nicht „Trainieren statt Dominieren“… Aber „kann“ TsD funktionieren?

 

Um diese Frage sinnhaft beantworten zu können, sollte man sich zumindest im Ansatz mit dem Rudelverhalten von Hunden auseinandergesetzt haben. Als Rudelverhalten bezeichne ich hier als die soziale Interaktion innerhalb einer Hundegruppe, welche etabliert ist, also aus Hunden besteht, welche fortwährend zusammenleben. Wir reden hierbei NICHT von einem Wildhunderudel, sondern von einer typischen „Mehrhundehaltung“ im Haus und idealerweise mit Garten. 

 

Zwei Positionen der Halter spielen hier eine Rolle: “Die machen das unter sich aus!“

oder „Chef bin ich!“. 

 

Rudelverhalten in der Form von: „Die machen das unter sich aus“:

Hier greifen die Besitzer in die Rudelstruktur nur dann ein, wenn es zu Auseinandersetzungen innerhalb der Gruppe kommt: im Rudel hat sich ein Tier als „Leittier“ positioniert und die anderen Rudelmitglieder ordnen sich diesem unter. Der „Rudelführer“ wird von der Hundegruppe selbst „bestimmt“ und die Rudelordnung kann sich auch wieder ändern - die Gruppe ist NICHT statisch.

 

Rudelverhalten in Form von „Chef bin ich“: 

Hier bestimmt der Besitzer, wer unter den Hunden die Führungsposition inne hat und unterstützt diesen Hund aktiv in seiner Position. Die Hundegruppe ist statisch, da die Rudelpositionen nicht von den anderen Hunden in Frage gestellt werden. 

  

Bei beiden Konstellationen wird „eingegriffen“, entweder ein Hund im ersteren Verband oder der Mensch im zweiten Verband. Und damit sind wir schon beim „Schlüsselwort“: es heisst „Eingreifen“! Rudelverbände funktionieren ausschließlich über Reaktionsmechanismen - und die sind unter Hunden ganz klar in jede Richtung offen: handelt es sich um ein Verhalten eines Mitgliedes des Rudels, welches als „nicht sonderlich störend“ bezeichnet werden kann (ein Junghund ist zum Beispiel lästig, weil er spielen will, aber die Großen gerade ihre Ruhestunde haben), dann genügt oft das Verhalten „Ignorieren“, um das unerwünschtes Verhalten beim Junghund zu beenden. 

 

Zeigt ein Hund ein Verhalten, welches ein anderes Rudelmitglieder NICHT billigt, wird gedroht und geknurrt, also eine „Vorwarnstufe“ in Kraft gesetzt und reicht diese nicht aus, dann wird der betreffende Hund mit „Zwang“ reglementiert! Dieser Zwang reicht von „nur“ über den Fangen packen bis zum „über den Fang greifen, auf den Rücken drehen und in Postition halten“. Im Hunderudel werden ganz klare und deutliche Ansagen gemacht und zwar durchaus lautstark und „handgreiflich“. Wenn also ein Hund sich NICHT wunschgemäss verhält, wird in Hundesprache sehr „handgreiflich“ kommuniziert und das, menschlich gesagt, NICHT NETT!

 

Die „angesprochenen“ Hunde verhalten sich gegenüber dem reglementierenden Hund in einem gut geführten Rudel SOFORT unterwürfig durch „Maul schlecken“ und beschwichtigen und danach ist alles wieder okay. Sprich: kein Hund kann einem anderen Hund ein „Lekkerli“ für Wohlverhalten anbieten, sondern es gibt klare körpersprachliche Ansagen in Form von Aktion und Reaktion.

Und hier ist der wichtige Unterschied zwischen Hundeerziehung, wie Hunde sie verstehen und Hundeerziehung nach „Trainieren statt Dominieren“:

 

Im TsD leite ich mit Belohnungen ein Verhalten um, entweder durch „Tauschen“: Gib mir dein Futter, ich tausche gegen tolles Lekkerli bei Futterressourcenverteidigung, oder durch „Gegenkonditionierung“: Welpe beißt in die Hand: Nicht-beißen in die Hand wird belohnt. Der Welpe lernt hierbei NICHT, dass das Beißen in die Hand ein unerwünschtes Verhalten ist, sondern nur, dass anderes Verhalten belohnt wird. Da Hunde sehr unterschiedlich sind, KANN diese Methode bei zum Beispiel sehr sensiblen Hunden Erfolg haben, allerdings, wenn ich an unsere Terrier denke, dann führt „Belohnen bei nicht Beißen in die Hände“ eben nicht dazu, dass sie aufhören, sondern es wird ein Erziehungsmarathon mit offenem Ende und sehr blutigen Händen! 

 

Und hier stellt sich für mich eine sehr wichtige Frage: Ist ein wie oben beschriebener „Erziehungsmarathon“, für Hunde überhaupt nachvollziehbar, heisst überfordern wir unsere Hunde nicht mit diesem rein menschlichen Vorgehen, oder wäre es für sie nicht bedeutend artgerechter, man würde ihnen, wie unter Hunden üblich - eine klare Ansage machen: „Beissen in die Hände ist zu unterlassen!“ um danach sofort, dauerhaft und endgültig dieses Thema ad Acta legen zu können?

 

Wir selbst haben über ein Jahrzehnt ein gemischtes Rudel von Zuchthündinnen und Deckrüden geführt und führen in den letzten zwei Jahrzehnten ein sechsköpfiges Hündinnenrudel.

 

Wir konnten also Rudelverhalten in fast allen erdenklichen Situationen beobachten: zum Beispiel die Reaktion der Rüden untereinander, wenn unsere Hündinnen läufig waren - neben dem „normalen“, täglichen Beisammensein oder das Verhalten aller Rudelmitglieder, wenn eine Hündin geworfen hatte und ein Wurf im Wohnzimmer im Beisein aller Hunde aufgezogen wurde. Besuch von rudelfremden Hunden, Verhalten bezüglich der unterschiedlichen Ränge, Verhalten bei Trennen eines Tieres vom Rudel und wieder Einfügen - die Verhaltensweisen sind unwahrscheinlich zahlreich und immer wieder interessant und aufschlußreich. Und unsere Hunde haben uns viel beigebracht: Sie lieben eine klare Ansage, weil sie dann wissen, wie sie sich in Zukunft verhalten sollen. - und können sozufrieden und harmonisch im Rudel und mit uns leben.

 

Ist man als Kritiker dieses Erziehungsmethode also gleichzeitig ein Gegner dieser Methode?

 

Natürlich nicht! Wir leben mit hochintelligenten Vierbeinern zusammen und unsere Hunde lernen, solange sie wach sind! 

Und das dürfte die am wenigsten angesprochene Tatsache sein, unabhängig davon, WIE ich erziehe: Unser eigenes Verhalten lässt unsere Hunde jeden Tag etwas VON UNS lernen - während wir Zweibeiner hingegen unserem Hund zum Beispiel „Sitz“ beibringen und denken, daß wir unserem Hund in genau nur DIESER ausgewählten Situation etwas beibringen - und unser Verhalten über den Tag verteilt keine erzieherische Auswirkung auf unseren Hund hat….. Aber jede Bewegung, jede Handlung wirkt auf unseren Hund - und dies den ganzen Tag! 

 

Ein Beispiel: Als wir unseren ersten Spitz als Welpen zu uns holten, bellte Cora nie. Das verwunderte uns sehr, denn wenn Spitze für eines bekannt sind, dann für ihr Gekläffe! Wochenlang war es egal wer zu Besuch kam, was draussen im Garten los war - nie war von Cora auch nur ein einziger Laut zu hören. Und dann - endlich: sie gab ein kurzes Bellen von sich, als sich unerwarteter Besuch ankündigte. Die ganze Familie „feierte“ den kleinen Hund: Begeisterung pur! Und Cora freute sich! Und wir freuten uns weiter, wenn sie bellte, denn sie hatte es ja lange genug nicht getan….. Und hatten in der Folge innerhalb kürzester Zeit einen „klassischen“ Spitz: jedes einzelne Geräusch wurde hinfort lautstark gemeldet. Sich von einem Stockwerk zum anderen etwas zuzurufen war unmöglich, telefonieren nur sehr eingeschränkt machbar und viel Freude hatten unsere Nachbarn an unserem Hund nicht.

 

Hunde sind „Körpersprachler“, das bedeutet, sie reagieren gezielt auf unsere Körperhaltung: Oft genug konnte ich bei Besuchen beobachten, wie Hunde vor der Türe in ein Zimmer hereingerufen werden, aber der Aufforderung nicht nachkamen.

 

Meistens standen ihre Besitzer so in der Türöffnung, dass die Hunde zwar genug Platz zum „durchschlüpfen“ hatten, aber das körpersprachliche Signal für sie ein Anderes war: ihr Besitzer stand mittig zwischen Türe und Türrahmen und füllte diesen so aus, dass für die Hunde der Eindruck entstand, daß der Menschenkörper ihnen den Zugang „versperrt“ und sie dadurch nicht hereinkommen sollen. Und steckten dann in der Zwickmühle: Auf der einen Seite verstehen die Hunde, dass sie hineinkommen sollen (durch das Wortkommando) und würden diesem Befehl auch gerne ausführen, auf der anderen Seite zeigt ihnen die körpersprachliche Haltung ihrer Besitzer ihnen, dass sie nicht hineinkommen „sollen“ - denn die Türe ist für die Hunde mit dem Mensch dazwischen quasi „versperrt“. Es bedarf dann oft mehrerer Aufforderungen ihrer Halter bis die Hunde dann durch die Türe ins Zimmer hereinkommen und sie tun dies dann oft mit angelegten Ohren und/oder „Unterwerfungsmimik“. Weist man die Besitzer darauf hin und sie stellen sich so hin, dass ein freier Durchgang entsteht, gehen die Hunde vollkommen problemlos ins Zimmer….

 

Erziehung bedeutet, dass ich dem Hund ein Verhalten abverlangen möchte, welches MEINEN Wünschen entspricht: das kann ein „Sitz“ oder ein „Platz“ sein, eine Ausbildung zum Fährtenhund, eben alles, was ICH möchte, daß MEIN Hund auf meinen Wunsch hin tut.

Und je nachdem, um was es geht, stehen mir hierfür verschiedene Wege und Mittel offen, ABER: immer angepasst, an das jeweilige Lernziel: Für ein „Sitz“ kann ich ein Lekkerli knapp über den Kopf halten, der stehende Hund wird, richtig ausgeführt, sich quasi von selbst hinsetzten. Sitzt er, bekommt er das Lekkerli.

 

Beißt der Hund aber beim Spiel richtig schlimm in die Hand, erfolgt die gleiche Reglementierung wie unter Hunden üblich und für ihn verständlich: ich greife mit einer Hand über den Fang und „imitiere“ das natürliche Maßregeln bei Hunden. Reicht „über den Fang greifen“ nicht, dann schiebe ich die Lefze zwischen das Gebiss und durch das Zudrücken des Fanges werden die Zähne in die Lefze „gequetscht“ - was weh tut. Ein scharfes „Lass das!“ und unser Hund weiss in Zukunft, dass in die Hände beißen ein absolutes „no-go“ ist.

 

Und begibt sich damit sofort in die Schußlinie aller möglichen Hundetrainer, die diese Art der Erziehung ablehnen. Im Netz finden sich dazu schier unendliche Diskussionen!

 

Meine Meinung: ich halte seit über 40 Jahren Hunde, wir züchten seit über 30 Jahren, ich habe über 25 Hunde selbst ausgebildet, wir haben weit über 100 Welpen in Rudelhaltung aufgezogen und haben verschiedene Rassen gezüchtet. 

 

Wenn ich über Erziehungsmethoden rede, dann spreche ich aus einer jahrzehntelangen Erfahrung. Meine Hunde werden zu 95% mit hoher Stimme und vieeeeeelen Lekkerlis erzogen - aber zu 5% reglementiere ich sie mit Druck - und zwar bei Dingen, welche mir grundsätzlich wichtig sind: 

1. Menschen (und Katzen) werden nicht gebissen!

2. Ich darf jederzeit Futter wegnehmen!

3. Es wird unter Hunden nicht gestritten!

4. Was ich sage gilt!  

 

So leben unsere Hunde ohne Stress sehr harmonisch untereinander, wir haben unendlich Freude mit und an ihnen und sie lernen mit Begeisterung

 

Fazit: Ein „Sitz“ kann ich wunderbar mit Lekkerlis „trainieren ohne zu dominieren“, Beißen in die Hand hingegen wird von mir ganz im Sinne einer für Hunde verständlichen Aktion unterbunden: mit über den Fang greifen und einer klaren Ansage!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Weitere interessante Artikel zum Thema Hundeverhalten und Vieles mehr finden Sie auf der Website der ZG Retromopszucht von der Holderheide!

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Doris Lamprecht (Montag, 25 April 2022 09:04)

    Ein wirklich toller Beitrag.
    Dankeschön